Gabriele Künne, Rosentext, Keramik, glasiert 38 x 37 x 4 cm, 2016
Gabriele Künne, Rosentext, Keramik, glasiert 38 x 37 x 4 cm, 2016

 

Passaggio - zwischen Landschaft und Urbanisation 

Interview mit Gabriele Künne – Miriam Bers für Axel Obiger 

 

Miriam Bers: Die im Saalbau Neukölln für dieses Jahr geplante Gruppenausstellung, die Du kuratierst und in der auch Deine Werke zu sehen sein werden, trägt den Titel AMORPH. 

 

M.B. Betrachtest Du die von Dir geschaffenen Skulpturen als amorph und wenn ja, wie definierst Du den Begriff amorph im Kontext Deiner Werke? Wenn ich Deine Werktitel lese, assoziiere ich Zustände und Gegenständliches. Amorph bedeutet ja ursprünglich gestaltlos, ungeformt oder strukturlos. 

 

Gabriele Künne: Die Formensprache der meisten meiner Arbeiten zielt darauf ab, in einen nicht eindeutig erkenn-und benennbaren Bereich vorzustoßen, damit die ansonsten in Kategorien funktionierende Wahrnehmung infrage gestellt werden kann. Die keramischen Objekte der letzten 15 Jahre spielen mit einer Unschärfe in der menschlichen Wahrnehmung, einer Lücke in der Erfahrungswelt. Natürlich haben die Objekte eine Gestalt, sie sind nicht gestaltlos, aber diese Gestalt definiert nichts allgemein Bekanntes. Bei der Arbeit „O Sole Mio“ z.B. verweist der Titel zwar scheinbar eindeutig auf das 1898 von Eduardo di Papua komponierte neapolitanische Lied, das bis heute in zahlreichen erfolgreichen Versionen interpretiert wird - dient hier aber dazu, ein vielfältiges Assoziationsfeld zu öffnen, das bei jedem Rezipienten etwas anders ausfallen wird…ein romantisierender Text, eine wehmütige, sehnsuchtsvolle Melodie, ein abstraktes, keramisches Objekt, das auf einem Regelbrett „sitzt“, leuchtend orange glasiert auf der inneren Flächenseite, rußig-schwarz auf der äußeren Flächenseite. 

 

Gabriele Künne, O Sole Mio, Keramik glasiert, Raku, ca. 65 x 90 x 38 cm, 2015
Gabriele Künne, O Sole Mio, Keramik glasiert, Raku, ca. 65 x 90 x 38 cm, 2015

 

M.B. Du reflektierst urbane Strukturen und den Umgang mit Natur in eben diesen. Ist Deine Analyse kritisch, gar politisch zu verstehen? Ich denke hier beispielsweise an Deine Skulptur „Burnout“ aus dem Jahr 2016

 

G.K. Ich denke, wenn man sich mit den Aspekten Natur - Kultur - Struktur im aktuellen Kontext auseinandersetzt kommt man automatisch in einen politischen Bereich. Aber auch sonst: Was könnte damit gemeint sein, wenn Kunst als politisch behauptet wird? Zumeist wohl, dass sie gesellschaftlichen Einfluss hat und dabei auch in irgendeiner Weise zu Aufklärung und Humanität beiträgt. Und sei es nur, um Aufmerksamkeit für bestimmte Themen zu schaffen, die in anderen Bereichen nicht gesehen oder gehört werden.

 

Gabriele Künne, Burnout, Keramik glasiert, ca. 37 x 32 x 29 cm, 2017
Gabriele Künne, Burnout, Keramik glasiert, ca. 37 x 32 x 29 cm, 2017

 

M.B. Die Kritik an industrieller (heute urbaner, gesellschaftlicher)  Vereinnahmung von Natur wurde zum Thema der Romantiker. Natur wurde damals zum Spiegelbild für seelische Vorgänge und der Rezipient zum Dialog aufgefordert. Die Aneignung, Bezwingung der Natur ist weiterhin Thema auch in der Kunst, ich denke zum Beispiel an die Installation von Pierre Huyghe auf der Documenta 13. In welchem Kontext steht hier Dein Formenvokabular: ist es rational, als Spiegelbild der sie umgebenden Umwelt? 

 

G.K. Ich gehe von rationalen Dispositiven moderner Urbanisation und Landschaft aus. Oft werden Arbeiten wie planerische Szenarien oder assoziative Versuchsanordnungen inszeniert, das mag bei Pierre Huyghe ähnlich sein. Ich verwende dabei jedoch ein rein abstraktes und sehr offenes Formenvokabular, das immer auch auf seine Entstehung, seinen Herstellungsprozess verweist. Dieser manuelle Herstellungsprozess beinhaltet automatisch auch einen individuellen, seelischen Vorgang. Ich möchte diesen Prozess mit folgendem Zitat verdeutlichen:

 

„Ausgewalzt, gefaltet, gerollt, geworfen. Die konzentrierte Vorbereitung kombiniert mit einem kurzen Moment, der das Ergebnis bestimmt. Einschneiden, draufschlagen.

Seit 2008 bildet die Keramik einen neuen Bereich im künstlerischen Werk von Gabriele Künne. Keramik als eine der ältesten Kulturtechniken wird hier jedoch nicht zu Figuren oder Gefäßen verarbeitet, sondern eher technoid aufgefasst - Fingerabdrücke und persönliche Arbeitsspuren werden auf den gleichmäßig ausgewalzten Flächen vermieden - oder gezielt angebracht. Entscheidungen und schnelle Handlungen fixieren den Augenblick im Material, das an die Grenzen seiner konstruktiven Möglichkeiten gebracht wird.“ (Gabriele Künne, 2015)

         

M.B. Erzähl uns etwas über Deine Arbeitsweise. Wie entstehen Deine Keramikarbeiten? Gibt es Vor-Zeichnungen, Modelle, Negativformen? Spielt Präzision eine Rolle oder ist der Zufall im Endergebnis mit einkalkuliert? 

 

G.K. Die meisten Arbeiten entstehen erst einmal vage im Kopf. Dann folgen oft zeichnerische Überlegungen, manchmal nehme ich auch fotografische Skizzen zu Hilfe. Ton ist ein sehr schnelles und vielfältiges Material, mit dem man sehr gezielt arbeiten kann, dem man aber auch einen Teil „Eigendynamik“ zugestehen muss. Hier verläuft nichts 100% nach Plan, da der Ton z.B. vor dem ersten Brand im Trocknungsprozess schrumpft und sich dabei die Form auch verändern kann.

Der sogenannte Zufall ist hier also bis zu einem gewissen Grad steuerbar. Ich setze meine Erfahrung bei einigen Arbeiten gezielt ein, sodass sie aussehen, wie „zufällig“ entstanden. Negativformen verwende ich nur, wenn ich etwas abformen oder abgießen möchte (Gips, Ton, Polyester, Epoxidharz…). Die keramischen Arbeiten habe ich bisher nicht abgeformt, da hier eine ganz andere Arbeitsweise grundlegend ist.

 

Gabriele Künne, Arbeitsprozess, Bildhauerwerkstatt BBK Berlin, 2019
Gabriele Künne, Arbeitsprozess, Bildhauerwerkstatt BBK Berlin, 2019

 

M.B. Wie verfährst Du hingegen mit anderen Materialien? Du arbeitest immer wieder auch mit Acrylglas und Epoxidharz. Was motiviert Dich, Dich für den einen oder anderen Werkstoff zu entscheiden? 

 

G.K. Die Idee und Intention bestimmt die Wahl der Materialien. Eine Arbeit aus bzw. mit Epoxidharz betont das Künstliche, Plastikhafte, Futuristische, evtl. auch Ungesunde. Holz dagegen verweist auf einen naturhaften Ursprung, das Gewachsene, oder auch das natürlich Strukturierte. Bei der der Arbeit „Passaggio“ (2008) ist diese Materialsprache gut erkennbar: die Wurzeln sind echt, es sind Fundstücke aus einem Waldstück im Tessin. Vermitteln also ursprünglich eine naturhafte Form und gewachsene Oberfläche - die dann aber durch den Aluminiumlack gebrochen wird in Richtung eines sehr artifiziellen Gesamteindrucks. Die Struktur, auf der sich das Ganze abspielt, ist einem Barcode nachempfunden, der aus lackierten, leicht glänzenden „Büro-Grau“-MDF Platten besteht, die in ihrer Materialität die genormte und in Kategorien gefasste Hintergrundebene bilden.

 

Gabriele Künne, Passaggio, Wurzeln, Aluminiumlack, MDF, Lack ca. 60 x 260 x 210 cm, 2008
Gabriele Künne, Passaggio, Wurzeln, Aluminiumlack, MDF, Lack ca. 60 x 260 x 210 cm, 2008